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AutorenbildJacqueline Deissner

Primäre und sekundäre Emotionen

Aktualisiert: 19. Nov.

Wie sie unser Verhalten beeinflussen und uns fehlleiten können

 

Emotionen sind ein unverzichtbarer Bestandteil unseres Lebens. Sie leiten uns durch schwierige Momente, helfen uns, Entscheidungen zu treffen und schützen uns in potenziell gefährlichen Situationen. Doch nicht alle Emotionen sind gleich — es gibt primäre und sekundäre Emotionen. Beide haben unterschiedliche Ursprünge und Auswirkungen auf unser Verhalten. In diesem Artikel schauen wir uns an, was es mit diesen beiden Arten von Gefühlen auf sich hat, wie sie uns beeinflussen und wie wir lernen können, mit ihnen bewusst umzugehen.




Was sind primäre Emotionen?


Primäre Emotionen sind unsere Ur-Emotionen, die direkt aus unserem Instinkt heraus entstehen. Sie sind angeboren und in unserer Evolution verankert, da sie uns geholfen haben, schnell auf Gefahren zu reagieren und zu überleben. Diese Emotionen sind spontan, unmittelbar und haben eine klare Funktion.


Beispiele für primäre Emotionen sind Wut, Angst, Freude, Traurigkeit und Überraschung. Sie treten oft blitzschnell auf und helfen uns, schnell zu handeln, ohne lange nachzudenken. Wenn du zum Beispiel einen Hund siehst, der plötzlich auf dich zurennt, kann Angst (eine primäre Emotion) dich dazu veranlassen, schnell auszuweichen, um dich zu schützen. Wenn du jemanden siehst, der dir wichtig ist, kann Freude (eine primäre Emotion) dich dazu bringen, diese Person zu umarmen oder dich mit ihr zu verbinden.


Primäre Emotionen sind also nützlich, um uns in der richtigen Weise zu handeln, und sie helfen uns, in kritischen Momenten schnell und richtig zu reagieren.


Was sind sekundäre Emotionen?


Sekundäre Emotionen entstehen hingegen nicht spontan, sondern sind oft das Ergebnis unserer Erfahrungen und der Art und Weise, wie wir in der Vergangenheit auf bestimmte Situationen reagiert haben. Sie sind also erlernt und konditioniert. Diese Emotionen entstehen oft in Reaktion auf komplexere oder langwierigere Situationen, bei denen wir mehr Zeit haben, nachzudenken oder zu reflektieren.


Ein Beispiel für eine sekundäre Emotion ist Schuld. Schuldgefühle entstehen oft, wenn wir glauben, dass wir etwas falsch gemacht haben oder für eine unangenehme Situation verantwortlich sind. Diese Emotion kann uns dazu bringen, in einer Beziehung zu bleiben, selbst wenn diese uns nicht gut tut, weil wir das Gefühl haben, "verantwortlich" zu sein und die Beziehung retten zu müssen. In solchen Fällen kann Schuld uns in einer toxischen Beziehung festhalten, obwohl unser Instinkt (die primäre Emotion) uns vielleicht schon sagen möchte, dass es besser wäre, diese Beziehung zu verlassen.

Früher ließen mich sekundäre Emotionen in Beziehungen fehlleiten. Zunächst war ich zu angepasst, tat alles, um geliebt zu werden, und stellte die Bedürfnisse anderer über meine eigenen. Nach einer schmerzhaften Erfahrung schlug ich ins Gegenteil um: Ich zog mich zurück, sobald es schwierig wurde, und beendete Beziehungen früh, aus Angst, wieder verletzt zu werden. Ich erkannte erst später, dass meine Ängste aus alten Wunden stammten und mich fehlleiteten. Statt mich selbst zu reflektieren, schob ich die Schuld oft auf die Männer. Durch Selbstreflexion lernte ich, meine Gefühle zu unterscheiden: Reagiere ich auf die aktuelle Situation (primäre Emotion) oder auf alte Muster (sekundäre Emotion)? Heute kann ich auch in schwierigen Momenten in einer Beziehung bleiben und bewusst entscheiden, was mir guttut.

Sekundäre Emotionen können uns also helfen, mit schwierigen Situationen umzugehen, aber sie können uns auch in die Irre führen. Zum Beispiel kann Angst eine sekundäre Emotion sein, die uns davon abhält, uns auf eine neue Beziehung einzulassen, weil wir in der Vergangenheit verletzt wurden. Diese Angst kann uns blockieren und uns daran hindern, die Chance auf eine gesunde und unterstützende Beziehung zu ergreifen.


Wie beeinflussen primäre und sekundäre Emotionen unsere Entscheidungen?


Gefühle sind Wegweiser – sie zeigen uns, was wir brauchen und wie wir reagieren sollten. Doch manchmal führen uns sekundäre Emotionen in die falsche Richtung. Wut kann uns helfen, für uns selbst einzutreten, uns zu verteidigen oder Grenzen zu setzen. Doch wenn wir diese Emotion unreflektiert einsetzen, kann sie uns auch in Konflikte stürzen, die eigentlich vermeidbar wären. Angst macht uns vorsichtig und achtsam, aber sie kann uns auch lähmen und verhindern, dass wir Chancen ergreifen, die uns eigentlich gut tun würden. Liebe kann uns zu Bindung und Nähe führen, doch sie kann uns auch dazu verleiten, in einer ungesunden Beziehung zu bleiben, wenn wir zu sehr an der Vorstellung von Liebe festhalten. Unsicherheit fordert uns auf, zu hinterfragen, was wir wirklich wollen, aber sie kann uns auch in einer ständigen Zerrissenheit halten und uns daran hindern, klare Entscheidungen zu treffen.


Diese sekundären Emotionen beeinflussen direkt unser Verhalten in Beziehungen und entscheiden oft darüber, ob wir in toxischen Beziehungen bleiben oder Chancen auf neue, gesunde Beziehungen verpassen. Sie führen uns entweder zu einem übermäßigen Bedürfnis nach Bindung oder zu einem übertriebenen Streben nach Autonomie, um uns vor weiterer Verletzung zu schützen.


Wie erkennst du, ob du in einer sekundären Emotion steckst?


Sekundäre Emotionen sind oft intensiver und halten länger an als primäre Emotionen. Sie sind tiefer und können uns blockieren, sodass wir nicht in der Lage sind, die Situation klar und rational zu betrachten. In solchen Momenten fällt es uns schwer, ruhig zu reagieren oder zu kommunizieren.


Ein weiterer Hinweis darauf, dass du in einer sekundären Emotion steckst, ist die Tatsache, dass du deine Reaktion nicht mehr vollständig kontrollieren kannst. Du fühlst dich überwältigt und blockiert. Vielleicht reagierst du in einem Moment der Wut, ohne den Kontext richtig zu berücksichtigen, oder bleibst aus Schuldgefühlen in einer Beziehung, die dich emotional erschöpft.


Der Zusammenhang zwischen sekundären Emotionen und deinem Bindungsstil


In meiner Erfahrung hängen sekundäre Emotionen häufig mit deinem Bindungsstil zusammen. Dein Bindungsstil ist eine tiefe, unbewusste Art und Weise, wie du in Beziehungen agierst, basierend auf deinen frühen Erfahrungen. Diese Emotionen entstehen oft aus dem Wunsch nach Sicherheit und Kontrolle und spiegeln wider, wie du früher in Beziehungen oder Konflikten reagiert hast.


Dein Gehirn strebt entweder nach Bindung, um Nähe zu erfahren, oder nach Autonomie, um deine Unabhängigkeit zu wahren. Beide Bedürfnisse sind wichtig, doch die Art und Weise, wie sie sich in deinem Leben manifestieren, hängt von deiner Erziehung und deinen Erfahrungen ab. Wenn du beispielsweise ein vermeidender Bindungsstil hast, neigst du dazu, dich von Beziehungen zurückzuziehen, um deine Unabhängigkeit zu wahren, selbst wenn du tief im Inneren Nähe suchst. Andererseits könnte ein ambivalenter Bindungsstil dazu führen, dass du in toxischen Beziehungen bleibst, weil du aus Schuld oder der Angst vor Verlassenwerden immer wieder versuchst, Bindung zu erzwingen.


Die Lösung: Bewusster Umgang mit deinen Emotionen


Der Schlüssel im Umgang mit primären und sekundären Emotionen liegt darin, sie bewusst wahrzunehmen und zu hinterfragen. Erkenne, ob deine Emotionen aus einem unmittelbaren Instinkt (primär) oder aus alten Erfahrungen (sekundär) stammen.


Die Lösung liegt in der Bewusstwerdung.

Indem du deine Emotionen verstehst, ihre Ursachen hinterfragst und die zugrunde liegenden Bedürfnisse erkennst, wirst du in der Lage sein, deine Reaktionen gezielt zu steuern. Auf diese Weise kannst du dich nicht nur in deinem eigenen Handeln besser leiten lassen, sondern auch empathischer und lösungsorientierter mit anderen interagieren. Hinterfrage deine Gefühle, um herauszufinden, ob sie auf der aktuellen Situation basieren oder auf alten Mustern aus der Vergangenheit. Wenn du in einem Moment der Unsicherheit, Wut oder Angst reagierst, nimm dir einen Moment Zeit, um abzuwägen: Was will dir dieses Gefühl wirklich sagen? Und ist es wirklich der beste Weg, um auf die Situation zu reagieren?


Lass dich nicht nur von Gefühlen leiten.

Es ist wichtig, sich nicht nur von momentanen Gefühlen leiten zu lassen. Oft reagieren wir spontan auf eine Situation, ohne die dahinterliegenden Bedürfnisse oder Ursachen zu hinterfragen. Wenn wir uns jedoch bewusst machen, was hinter unseren Emotionen steckt, können wir gesündere und effektivere Wege finden, auf Herausforderungen zu reagieren.


Hinterfrage deine Gefühle.

Wenn du eine starke Emotion erlebst, frage dich: „Ist diese Emotion wirklich die passende Reaktion auf die aktuelle Situation?“ Oft sind unsere Gefühle eine Mischung aus der gegenwärtigen Situation und früheren Erfahrungen. Es ist wichtig zu erkennen, ob die Emotion wirklich durch das Hier und Jetzt ausgelöst wurde oder ob sie alte, nicht verarbeitete Gefühle anspricht.


In den Verstand wechseln und abwägen.

Eine hilfreiche Methode, um in emotional aufgeladenen Momenten klarer zu denken, ist, in den Verstand zu wechseln und rational abzuwägen. Was spricht für meine Emotion - sind diese gerecht, der Situation angemessen? Was spricht dagegen? Was spricht dafür? Diese Fragen helfen dir, die Wahrheit hinter der Emotion zu erkennen und ermöglichen es dir, eine angemessene Reaktion zu finden. Indem du Emotionen mit Verstand und Reflexion integrierst, kannst du eine ausgewogene Perspektive einnehmen und deine Ziele zielgerichtet verfolgen.


Was steckt hinter deinen Emotionen?

Hinter unseren Emotionen stehen oft unerfüllte Bedürfnisse. Jede Emotion ist eine Reaktion auf ein Bedürfnis, das entweder erfüllt oder verletzt wurde. Wenn wir uns dieser Bedürfnisse bewusst werden, können wir lernen, unsere Emotionen besser zu verstehen und gezielt zu steuern. Anstatt impulsiv zu reagieren, können wir bewusstere und konstruktivere Emotionen entwickeln, die uns in die gewünschte Richtung führen und unsere Ziele unterstützen.


Lerne Fragen zu stellen.

Um die wahre Ursache einer Emotion zu verstehen, ist es hilfreich, Fragen zu stellen – sowohl an uns selbst als auch an unser Gegenüber. Die Antworten können uns helfen, die Situation besser zu verstehen, bevor wir reagieren. Dies verhindert impulsive Entscheidungen und gibt uns die Möglichkeit, durchdacht zu handeln.


Achte darauf, nicht nur deinen Emotionen zu folgen, sondern auch die Vor- und Nachteile deiner Entscheidungen zu berücksichtigen. Reflektiere, ob dein Bedürfnis nach Bindung oder Autonomie dich in die richtige Richtung führt. Stelle dir die Frage: Welche Entscheidung hilft mir langfristig, mein authentisches Selbst zu leben und mein Wohl zu fördern?


Indem du deine Emotionen achtsam hinterfragst und ihre Auswirkungen auf dein Verhalten und deine Beziehungen verstehst, kannst du lernen, dich nicht von ihnen fehlleiten zu lassen. So triffst du Entscheidungen, die dich zu einem erfüllteren und glücklicheren Leben führen.


Herzlichst,

Jacqueline

Coaching & Psychologische Beratung

 

Quellennachweise:

Ekman, Paul. Emotionen, die unser Leben bestimmen. Fischer Taschenbuch Verlag, 2004.

Fosha, Diana. Die Psychologie der Emotionen und der Bindung: Integrative Bindungstheorie und psychodynamische Psychotherapie. Springer, 2012.

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